Beratung
Seit 2013 bieten wir am Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) eine Beratung für Eltern, pädagogische Fachkräfte und weitere interessierte Personen sowie Einrichtungen an. Sie finden bei uns Rat und Unterstützung zu allen Fragen der mehrsprachigen Erziehung, zu Chancen und Problemen im Spracherwerb und in der Sprachentwicklung.
Die Beratung ist ein kostenloses Angebot des Berliner Interdisziplinären Verbunds für Mehrsprachigkeit (BIVEM). Sie kann, nach vorheriger Absprache, auf Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch oder Türkisch durchgeführt werden.
Terminvereinbarung
Eine virtuelle oder persönliche Beratung am ZAS ist nach vorheriger Vereinbarung möglich. Für Einrichtungen bieten wir nach Bedarf eine mobile Beratung vor Ort an.
Bitte kontaktieren Sie uns per Mail (bivem@leibniz-zas.de).
Beratung findet online oder in unserem Zentrum statt:
Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS)
Pariser Str. 1
10719 Berlin
Bitte beachten Sie, dass während der Schulferien (Schulferien Berlin) und an Feiertagen generell keine Beratung stattfindet.
BIVEM 17 FAQs – Oft gefragte Fragen [1]
1. Kann Mehrsprachigkeit eine Sprachentwicklungsstörung verursachen?
Nein, keine Sorge. Es gibt keine Nachweise, dass Mehrsprachigkeit zu Sprachentwicklungsstörungen führen kann. Mehrsprachige Kinder können zwar manchmal unterschiedliche Entwicklungsphasen aufzeigen und weniger Wörter in einer bestimmten Sprache kennen als ihre gleichaltrigen, einsprachigen Kinder, das ist allerdings nur temporär. Sie können wichtige Meilensteine in der Sprachentwicklung im gleichen Tempo erreichen wie einsprachige Kinder [2].
2. Ich möchte, dass meine Kinder mehrsprachig aufwachsen. Welche Vorteile hat es, zwei- oder mehrsprachig zu sein?
Großartig. Es gibt eine Reihe von Vorteilen, zwei- oder mehrsprachig zu sein. Zum Beispiel:
a. Mehrsprachige Menschen können leichter in verschiedene Kulturen eintauchen, andere Sprachen und Traditionen schätzen und so zu einer kosmopolitischen modernen Gesellschaft beitragen.
b. Die Mehrsprachigkeit eröffnet breitere berufliche Perspektiven.
c. Mehrsprachigen Kindern fällt es leichter, andere Sprachen zu lernen.
d. Mehrsprachige Menschen verfügen über bessere metasprachliche Fähigkeiten, das heißt sie können besser über die Merkmale und Strukturen der Sprache nachdenken. Dies ist wichtig für das Erlernen von Lesen und Schreiben.
e. Mehrsprachigkeit kann sich positiv auf die Gehirnleistung und Kreativität auswirken – bis ins hohe Alter [3].
3. Ist mein Kind verwirrt, wenn es mehr als eine Sprache lernt, die im Umfeld gesprochen wird?
Nein. Kinder sind unglaublich sensibel für ihr sozial-kommunikatives Umfeld. Kinder können schon früh die verschiedenen Sprechweisen der Menschen unterscheiden. Der Spracherwerb wird durch Zwei-/Mehrsprachigkeit nicht erschwert [4].
Beim Sprechen können zweisprachige Kinder Wörter aus einer anderen Sprache übernehmen (auch Code-Switching genannt). Dies ist natürlich und typisch für die zweisprachige Sprachentwicklung. Es bedeutet nicht, dass die Kinder sich nicht sicher sind, welche Sprache sie verwenden. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in diesem informativen TEDtalk »Creating Bilingual Minds« von Dr. Naja Ferjan Ramirez.
Zusätzlich zum Code-Switching können zweisprachige Kinder auch Wörter falsch aussprechen oder andere Fehler machen, die auf den Einfluss von einer Sprache auf die andere zurückzuführen sind (auch bekannt als Sprachtransfer). Auch das ist ein normales Phänomen.
4. Welche Sprache sollte ich zu Hause verwenden?
Es ist besser, die Sprache zu verwenden, die Sie am besten beherrschen oder in der Sie sich am wohlsten fühlen, als eine gebrochene oder grammatikalisch inkorrekte Sprache.
5. Warum sollte ich die Sprache verwenden, die ich am besten beherrsche?
Es ist wichtig, eine gemeinsame Sprache zu haben, in der sich sowohl Eltern als auch Kinder gut ausdrücken können. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Eltern-Kind-Beziehung. Je größer die Kinder werden, desto anspruchsvoller werden die Unterhaltungen. Zum Beispiel müssen alle Familienmitglieder in der Lage sein, über ihre Gefühle zu sprechen, vor allem in der Pubertät.
Die erste Sprache ist ein wichtiger Baustein für den weiteren Spracherwerb. Wenn Sie Ihren Kindern helfen, ihre Erstsprache erfolgreich zu beherrschen, schaffen Sie ihnen hervorragende Voraussetzungen für das Erlernen weiterer Sprachen, wie zum Beispiel Deutsch als Zweitsprache. Zweisprachigkeit bringt viele sprachliche und kulturelle Vorteile mit sich.
6. Wie kann man die Sprachkenntnisse der Erstsprache fördern?
Um eine Sprache zu lernen, ist es am effektivsten, wenn man möglichst viel mit dieser Sprache in Berührung kommt. Es ist wichtig, dass Sie von Geburt an mit Ihren Kindern sprechen und ihnen viel Kontakt zu Ihrer(n) Muttersprache(n) bieten. Auch Großeltern, Freunde und soziale Aktivitäten können eine wertvolle Quelle für den Sprachinput sein.
7. Was ist, wenn die Eltern unterschiedliche Sprachen sprechen?
Es ist kein Problem, wenn ein Elternteil eine Sprache spricht und der andere Elternteil eine andere Sprache mit den Kindern spricht. Der Spracherwerb ist am effektivsten, wenn beide Elternteile viel Zeit haben, mit ihren Kindern zu sprechen.
8. Was sind Sprachentwicklungsstörungen?
Bei einer Sprachentwicklungsstörung ist der Spracherwerb eines Kindes nicht altersgerecht. Die Auffälligkeiten zeigen sich, obwohl das Kind gut hört, normal intelligent ist und keine anderen neurologischen oder sozial-emotionalen Auffälligkeiten hat. Sprachentwicklungsstörungen können sehr unterschiedlich sein.
Einige Kinder haben Schwierigkeiten mit der Aussprache, andere haben einen zu kleinen Wortschatz oder Probleme mit der Grammatik. Mehrere dieser Auffälligkeiten können auch gemeinsam auftreten. Oft ist es für die Kinder auch schwierig, Sprache richtig zu verstehen.
Im Laufe der Kindheit verändern sich die Symptome. Dasselbe Kind kann im Alter von 4 Jahren durch Wortschatzdefizite, im Alter von 5 Jahren durch Grammatikdefizite und im Alter von 6 Jahren durch Schwierigkeiten beim Erwerb der Schriftsprache auffallen.
9. Welche Auswirkungen haben Sprachentwicklungsstörungen bei mehrsprachigen Kindern?
Sprachentwicklungsstörungen betreffen immer alle Sprachen. Allerdings können die Sprachen auf unterschiedliche Weise betroffen sein. Daher können die Symptome der Störung in jeder Sprache unterschiedlich sein [5].
10. Sind Sprachentwicklungsstörungen bei mehrsprachigen Kindern schwerer als bei einsprachigen Kindern?
Nein, Studien zeigen, dass Sprachentwicklungsstörungen bei mehrsprachigen Kindern nicht schwerwiegender sind als bei einsprachigen Kindern [6]. Allerdings werden die Störungen oft nur bei den schwerer betroffenen Kindern festgestellt. Bei den leichter betroffenen Kindern werden die Auffälligkeiten oft fälschlicherweise der Mehrsprachigkeit zugeschrieben.
11. Können Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen mehrere Sprachen lernen?
Ja, mehrsprachige Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen lernen alle Sprachen auf demselben Niveau, auf dem sie auch eine einzelne Sprache lernen würden. Der Spracherwerb wird durch die Mehrsprachigkeit nicht erschwert.
Keinesfalls sollten dem Kind Sprachen »weggenommen« werden, um ihm den Erwerb einer Sprache zu erleichtern. Dadurch werden dem Kind bereits erworbene Fähigkeiten und künftige Möglichkeiten, sich auszudrücken, genommen. Es gibt auch keinen Beweis dafür, dass dieser Ansatz die Beherrschung der anderen Sprachen verbessern würde.
12. Was ist bei der Diagnostik wichtig?
Informationen zum Spracherwerb sollten bei der Diagnostik berücksichtigt werden. Das sollten die Eltern wissen:
a. Seit wann lernt das Kind die zweite Sprache wie Deutsch?
b. Wie ist der Sprachentwicklungsstand in der Familiensprache?
c. Wie intensiv ist der Kontakt mit beiden Sprachen?
Diese Erwerbsbedingungen helfen zu entscheiden, ob eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt oder nicht. Da dies nicht einfach ist, werden mehrsprachige Kinder manchmal als sprachbehindert eingestuft, obwohl sich ihre Sprache für ein Kind mit demselben Lernhintergrund ganz normal entwickelt. Häufiger ist es jedoch der Fall, dass eine Sprachentwicklungsstörung nicht erkannt wird, weil mehrsprachige Kinder ähnliche Fehler machen wie einsprachige Kinder mit Sprachentwicklungsstörung.
Derzeit gibt es nur wenige Testverfahren für eine begrenzte Auswahl von Sprachen, die eine Erhebung des Sprachniveaus in den Familiensprachen ermöglichen. Daher können oft nicht beide Sprachen des Kindes getestet werden.
Eine Sprachentwicklungsstörung verschwindet nicht von selbst. Sie »wächst sich nicht aus«. Betroffene Kinder brauchen so früh wie möglich eine qualifizierte, individuelle Therapie durch einen Sprachtherapeuten. Sprachförderung allein reicht nicht aus.
Für die Therapie benötigen Sie eine Verordnung, die von HNO-, Haus- oder Kinderärzten ausgestellt werden kann.
13. Was bedeutet Vorlesen eigentlich?
Vorlesen kann viel mehr bedeuten, als dass Erwachsene den Kindern vorlesen und die Kinder auschlißlich zuhören. Beim dialogischen Vorlesen wird die sprachliche Interaktion mit Hilfe von Büchern oder anderen Medien in den Vordergrund gestellt.
Beziehen Sie Ihr Kind in das Vorlesen ein, um es optimal zu fördern. Denn Sprache lernt man am besten im Dialog und nicht durch passives Zuhören oder Zuschauen.
Das Interesse der Kinder wird gesteigert, wenn ein reger Austausch über das Gelesene stattfindet, ihre Fragen beantwortet werden und die Geschichten lebendig werden.
Im Gegensatz zu Aktivitäten, bei denen Kinder allein sind (z. B. Fernsehen), fördert das Vorlesen die Beziehung zur Betreuungsperson. Denn gemeinsames Vorlesen wird mit Nähe, Geborgenheit und dem Gefühl verbunden, geliebt zu werden [7].
14. Warum ist Vorlesen wichtig?
Vorlesen hilft, Interesse und Freude am Lesen zu entwickeln und langfristig zu erhalten.
Vorlesen erweitert den Horizont und fördert die Fantasie, da Kinder unbekannte Welten (z.B. andere Länder oder Fantasiefiguren wie Elfen oder Drachen) kennen lernen können.
Vorlesen schult das Mitgefühl, denn Kinder lernen, sich in andere hineinzuversetzen und deren Gefühle zu verstehen.
15. Was und wie können wir beim Vorlesen tun?
Einige Tipps für Eltern:
a. Je früher und je öfter Sie vorlesen, desto besser.
b. Nutzen Sie das Vorlesen und Erzählen, um Ihre Familiensprache zu stärken.
c. Stärken Sie die Deutschkenntnisse Ihres Kindes durch Vorlesen. Nutzen Sie ggf. Angebote im Kindergarten oder in der Bibliothek.
d. Machen Sie das Vorlesen zu einem Dialog: Sprechen Sie über Inhalte und Bilder und seien Sie kreativ bei den Geschichten.
e. Vorlesen fördert nicht nur die Sprachentwicklung, sondern auch Fantasie, Mitgefühl und die Eltern-Kind-Beziehung.
f. Nehmen Sie bei Bedarf Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch.
16. Warum ist es wichtig, Sprachen zu schätzen?
In der frühen Kindheit können Kinder jede Sprache der Welt lernen. Für sie gibt es keine leichten oder schwierigen Sprachen, und sie können auch mehrere Sprachen gleichzeitig lernen.
In einer offenen und wertschätzenden Gesellschaft, in der alle Herkunftssprachen unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion gelebt werden, fühlen sich die Menschen wertgeschätzt und respektiert.
Kinder reagieren positiv auf die Wertschätzung ihrer Muttersprache(n). Die positive Einstellung von Eltern, pädagogischen Fachkräften und der Gesellschaft gegenüber den Herkunftssprachen schafft Vertrauen im Umgang mit den Sprachen, zeigt Wertschätzung für die Sprachen und die Fähigkeiten des Kindes und hilft den Kindern, ihre Herkunftssprachen als wertvoll zu empfinden.
Sprache ist Teil der Identität
Die Sprache ist Teil der Identität, der Kultur und der Traditionen der Menschen. Wenn Menschen in ein anderes Land ziehen, bringen sie ihre Sprachen mit und verwenden diese (Heimat-)Sprachen auch dann weiter, wenn sie dauerhaft auswandern. Sie sollten die Möglichkeit haben, ihre Heimatsprachen zu verwenden und sie an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.
Die interkulturellen und sprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Menschen sind eine große Ressource für die Gesellschaft. Darüber hinaus bietet die Beherrschung der eigenen Muttersprache eine gute Grundlage für das Erlernen anderer Sprachen und unterstützt auch das Erlernen der Mehrheitssprache des Landes.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Herkunftssprache wichtig für die Identität der Menschen und für ihr Selbstvertrauen beim Sprechen anderer Sprachen ist.
Die institutionelle Förderung der Herkunftssprachen, z. B. in der Schule, trägt dazu bei, die Sprachen langfristig zu erhalten, und zeigt Anerkennung und eine positive Einstellung zur Mehrsprachigkeit und sprachlichen Vielfalt in der Gesellschaft.
17. Wie können wir das Erlernen der Herkunftssprache unserer Kinder unterstützen?
Einige Tipps für Eltern:
a. Diskutieren Sie von Anfang an über familiäre Strategien in Bezug auf Sprachen.
b. Sprechen Sie selbstbewusst mit Ihrem Kind in Ihrer Muttersprache. Ihre Sprache ist genauso wertvoll wie jede andere.
c. Sprechen Sie positiv über Ihre Sprache und Kultur. Schätzen Sie alle Sprachen.
d. Bieten Sie Ihrem Kind vielfältige Möglichkeiten, Ihre Sprache zu lernen und zu sprechen, z. B. durch persönliche Kontakte, Vereine, institutionelle Aktivitäten und mit Hilfe von Büchern oder anderen Medien.
e. Lassen Sie sich nicht von den Vorurteilen anderer abschrecken! Es gibt keine guten und schlechten Sprachen, Mehrsprachigkeit ist immer ein Gewinn.
f. Nehmen Sie bei Bedarf Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch.
Weitere Informationen und Empfehlungen finden Sie in unseren Flyern.
[1] In diesem FAQ beziehen wir uns auf Gebärden- und gesprochene Sprachen.
[2] Genesee, F., Paradis, J., & Crago, M. (2004). Dual Language Development and Disorders. Baltimore, Maryland: Brookes.
[3] Bialystok, E., Craik, F. I., & Luk, G. (2012). Bilingualism: consequences for mind and brain. Trends in cognitive sciences, 16(4), 240–250.
[4] Guiberson, M. (2013). Bilingual myth-busters series language confusion in bilingual children. Perspectives on Communication Disorders and Sciences in Culturally and Linguistically Diverse (CLD) Populations, 20(1), 5–14.
[5] Kohnert, K., Ebert, K. D., & Pham, G. T. (2020). Language disorders in bilingual children and adults. San Diego: Plural Publishing.
[6] Armon-Lotem, S., de Jong, J. H., & Meir, N. (Eds.). (2015). Assessing multilingual children: Disentangling bilingualism from language impairment. UK: Multilingual matters.
[7] Duursma, E., Augustyn, M., & Zuckerman, B. (2008). Reading aloud to children: the evidence. Archives of disease in childhood, 93(7), 554–557
[8] Norton, B. (2010). Language and identity. Sociolinguistics and language education, 23(3), 349–369.